Ästhetiken des Dilettantischen



Frederike: Hallo Sam schön, dass du da bist. Wir haben uns verabredet, um zusammen ein bisschen über deine künstlerischen Arbeiten zu sprechen. Vielleicht fangen wir mit dem an, was du zuletzt gemacht hast: Du hast im November ein Album mit deinem Bandprojekt Kalk rausgebracht, das Album heißt ÄÄX. Vielleicht willst du zum Einstieg erzählen – du studierst ja eigentlich bildenden Kunst –, wie bist du dazu gekommen jetzt dieses Album zu machen und wer ist Kalk?

[ ︎ Link zum Album ÄÄX auf Bandcamp ︎]

Sam: Schön Freddy, dass wir diese Unterhaltung zusammen machen. Wir kennen uns ja schon eine Zeit lang und es ist schön mal mit einer Freundin intensiv – oder auch intim, über meine Arbeiten zu sprechen. Das Album ÄÄX von Kalk ist eine Kooperation mit einem Freund, Johannes Bünemann, der viel mit Synthesizern arbeitet und in Berlin lebt – ich leb ja momentan in Wien. Wir haben uns dafür in Berlin getroffen. Das Album ist im letzten Jahr im Lockdown entstanden, aus einer viertätigen Session, in der wir die einzelnen Tracks komponiert und dann in one takes direkt auf tape gespielt haben.

F: Also ihr habt das echt auf Kassette aufgenommen? Willst du nochmal präzisieren, wieso ihr euch für dieses Medium entschieden habt.

S: Johannes macht schon eine Weile Musik mit unterschiedlichen analogen Klangerzeugern. Und wir haben auch hauptsächlich mit analogen Geräten – also Synthesizern, Effektgeräten, Stimmverzerrern und so – gearbeitet. Dabei ging es auch immer um die Momenthaftigkeit. Und in diesen vier Tagen haben wir dann alle Tracks für das Album aufgenommen … dazu hatten wir einen TASCAM tape recorder, in den die Summe aller Audiospuren aus dem Mischpult eingeht und dann ist es eben so, wie es ist: Der Track ist auf tape fertig abgemischt. Das erzeugt eine ganz kratzige Ästhetik, man hört die Fehler – aber bei uns sind das auch gar keine Fehler, sondern es ist eben das, was den track dann ausmacht. Was mich an dieser Rohheit interessiert ist das rotzige Unperfekte, dass dann hörbar wird.


KALK Konzert in der Akademie der Bildenen Künste Wien

F: Finde ich spannend, was du über das tape gesagt hast: Es geht dabei darum, eine ursprüngliche Fehlerhaftigkeit beizubehalten. Du bist auch schon ein bisschen drauf eingegangen, wie sich der sound anhört – du hast es roh genannt. Willst du noch ein bisschen ausführen, wo ihr euch beide musikalisch getroffen habt. Also aus welchen Richtungen kamt ihr jeweils und wie habt ihr das dann synthetisiert?

S: Wir bewegen uns in einer ganz kleinen Szene aus Untergrundmusiker*innen, die in so einem Punk Dreieck zwischen Berlin, Leipzig und Halle leben. Viele der Leute kenne ich vor allem durch meine Zeit in Weimar. Da haben wir andauernd Konzerte organisiert und Bands gegründet. Und bei mir ist da eine Begeisterung für die Stimme entstanden, die ich als Medium entdecke, als künstlerisches Werkzeug, weil ich rausgefunden habe, dass sich in der Stimme so wenig verstecken lässt. Sie richtet sich sehr direkt an ein Publikum und kann dabei viel transportieren. Und mich interessiert diese Unzensiertheit, was im Punk ja auch ein riesiges Thema ist: dass man alles was da ist rauslässt, mit der Sprache arbeitet, die gerade da ist, aus dem Bauch heraus. Bei Jo und mir, also bei uns beiden ist das ein sehr spielerisches rangehen ans Musik machen und ein Wertschätzen für das, was im Moment passiert.

F: Du hast am Anfang von Komposition gesprochen. Was du jetzt beschrieben hast, das unzensierte Herauskommen und die Inspiration vom Punk, klingt aber erstmal als würde sich das der Idee der Komposition widersprechen. Inwiefern habt ihr euch Rahmenbedingungen abgesteckt, innerhalb derer ihr improvisiert habt? Also wie war das Verhältnis von Komposition und Spontanität in eurem Prozess?

S: Komponieren ist vielleicht nicht so das richtige Wort – das klingt als würde man sich einen Plan machen und es war ja eher das Gegenteil. Wir haben einfach viel Zeit verbracht und oft hab entweder ich ein Textfragment oder Johannes einen bestimmten sound reingegeben. Irgendein Funken muss dann da sein, damit wir mit so einem Anfang weitermachen. Wir haben auch viel angefangen, aber schnell wieder verworfen. Und auch das war immer ein spontanes Entscheiden, je nachdem was das gerade in einem auslöst. Mich interessiert viel ein fragmentiertes Musik machen, das sich irgendwie an vielem bedient und von allem möglichen inspiriert sein kann. Was mich jetzt weiter reizen würde, wäre auch in eine Richtung zu gehen, die das noch mehr zerschmettert: Was ist überhaupt ein guter Song, was ist Musik?

F: Zu dieser Idee der Fragmentierung würde ich gerne auch auf deine Texte zu sprechen kommen. Du redest in einem track über „lost connection“, dann kommen Sachen wie „Gas, Gas, Gas“ oder „Ich sehne mich nach der Realität“. Bei den Texten hatte ich das Gefühl, dass du Worte und Satzteile, die permanent um uns rumschwirren und dadurch irgendwie bekannt sind, nebeneinander reihst: Eher additiv, es gibt kein Narrativ.

S: Bei den Texten geht es auch um das Transportieren einer Stimmung – vielleicht ist das diese teen angst: dieses kontemporäre Gefühl von Umschwirrt sein verschiedener Gefühlsfragmente, die auf einen einschmettern und die man ständig versucht irgendwie für sich einzuordnen. Zum Beispiel der Track Dorn im Auge, da wiederhole ich endlos die Phrase „Ein Dorn in meinem Auge, ein Dorn in meinem Auge - AUA“­ – das kann man sich dann sehr bildlich vorstellen. (lacht) Und ja klar, das sind auch Themen vom eigenen Unwohlsein, ich nenne es Ego-Paranoia… irgendwie sind die gerade sehr präsent, besonders in einer Kunstblase, in der es viel um Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung geht.

F: Ok, also teen angst meint ein Gefühl der Überforderung durch sowas wie eine mediale Überfrachtung. Das hat auch was von Schizophrenie diese lost connection. Und gleichzeitig müssen diese ganzen fragmentierten Elemente auch gar nicht zu einem Ganzen zusammengefügt werden, zu einer grossen Gesamtaussage, sondern können einfach nebeneinander stehen bleiben.
Wir hatten ja schon erwähnt, dass du keine professionelle Musikerin bist. Du hast bildenden Kunst studiert an der Bauhaus Uni und bist jetzt in Wien. Du hast viel mit Skulptur gearbeitet, aber wechselst auch immer wieder das Material, mit dem du arbeitest. Damit lässt du dich als Künstlerin nicht auf ein Medium festlegen, sondern probierst viel aus. Wie siehst du das Verhältnis deiner Arbeiten mit all diesen unterschiedlichen Medien und Materialen, gibt es da eine Kohärenz für dich oder braucht es die gar nicht?


Samira Engel: Installationsansicht von In der U alle gleich, objects 2020, 100x50x150 cm, 100x50x70cm, 50x50x70 cm – walker, stroller, metal tubes, chains, rings, straps, wheels

S: Das ist spannend, weil da schon auch immer wieder der Wunsch da ist, etwas festzulegen und wenn mir jemand sagt, das ist ja gar nicht, was du professionell machst würde ich fragen: Was ist die Idee einer Profession? Also wo ist die Grenze, was macht es aus, professionelle Künstlerin zu sein oder nicht? Ich glaube, dass ich gerade das befrage: Was ist Professionalität? Und die Multimedialität in meiner Arbeit ist vielleicht selbst so ein Versuch eben nicht dahin zu gelangen, sich nicht auf den Wunsch einzulassen ein Medium perfekt zu beherrschen. Sondern vielmehr die Bedingungen von Kunst machen zu hinterfragen. Was sind die Bedingungen, unter denen ich arbeite – oder auch nicht arbeite. Gerade über die Frustration vom Kunstmachen zu sprechen, ist für mich ein wichtiges Thema. Hab ich auf deine Frage geantwortet?

F: Ja, doch. Ich hatte ja nach der Kohärenz deiner Praxis gefragt. Das hört sich so an, als sei gerade dieses sich in verschiedenen Medien ausprobieren eins deiner Grundthemen und also eine Art Konstante. Du hinterfragst dadurch die Idee der Professionalisierung – das tust du auch durch etwas, das du in deiner Arbeit Grosse Töne spucken oder why I should quit my job, über die wir gleich noch sprechen, dilletantisches Tun nennst. Das Multimediale wird dabei selbst zum Medium, das es dir ermöglicht, dieses dilettantische Tun konsequent durchzuziehen: Wenn du dich zu lange in einem einzigen Medium bewegst, würdest du das wiederum professionalisieren, deswegen scheint es wichtig, dass du häufig wechselst.

S: Mh. Ja das ist sowas, was ich mich auch frage, ob man das ewig durchalten kann. Also kann man ewig eine Dilettantin sein? Oder ist allein schon, dass man Geld damit verdient, der Moment, in dem man zur professionellen Künstlerin wird? Wann tritt das ein? Oder ist es etwas, das der Kunst von vorneherein inhärent ist: dass man sich immer wieder neue Themen suchen muss. Ja vielleicht ist ein Teil dann eben diese Multimedialität, an der ich mich abarbeite.

F: Das würde ich gerne weiterverfolgen und zugespitzt fragen: Ist es nicht auch schön, sich in etwas zu professionalisieren? Im Sinne davon zu wissen, dass man gut kann, was man macht. Also entsteht nicht auch eine Sicherheit durch das Einüben gewisser Vorgänge, in denen man immer besser wird. Das gibt einem ja schon eine Befriedigung und ich denk auch, dass wenn man in etwas sehr geübt ist, das einem teilweise auch erst den Raum gibt da improvisieren zu können. Also das wär ein bisschen die Gegenthese: ob es nicht auch eine Befriedigung innerhalb der Professionalisierung gibt, die ich von einer Kommerzialisierung erstmal abgrenzen würde.


Samira Engel: Große Töne Spucken – Or Why I Should quit my Job, diploma thesis in art- and cultural studies, book, lecture 2021, 12x22cm, 123 pages – artistic research on paper, ceramic fingers, beamer, outfit

S: Klar, total. Ich würde auch sagen, dass zum Beispiel die Stimme in meiner Kunstpraxis von Anfang an als Material da war, auch wenn ich es lange nicht so begriffen habe. Ich hab erst später angefangen auch Sachen wie Sprachmemos oder kurze Aufzeichnungen von Sounds als relevant für meine Kunst zu betrachten. Und das Bildhauerische arbeiten ist sicher eine zweite Konstante, obwohl ich das sehr weit fasse, weil das für mich auch in erster Linie ein Umgang und ein Umformen von Material ist. Zuletzt habe ich diese kulturwissenschaftliche Abschlussarbeit geschrieben, die du eben schon erwähnt hast, was in meiner Praxis auf jeden Fall auch eine Art cut war, bei dem ich noch schaue, wie ich das für meine praktische Arbeit wieder produktiv machen kann.

F: Der Untertitel stellt die Frage, why I should quit my job – why should you quit your job? Zu welcher Konklusion bist du da gekommen?

S: In der Arbeit habe ich mich mit den Bedingungen von Wissensproduktion im wissensbasierten Kapitalismus beschäftigt und es ging bei mir viel um den Akt des Schreibens selbst, den ich als sehr empowernd erfahren habe. Und auch hier hab ich wieder versucht einem dilettantischen Zugang zu entwickeln, also in erster Linie meine Begeisterung zu teilen, weil ich an der Uni sehr viel gelernt habe, wie wissenschaftliches Schreiben aussehen soll und ich da ausbrechen wollte. Jetzt habe ich erstmal ein bisschen versucht deine Frage zu umgehen (lacht) aber ich glaube, ich bin zur Konklusion gekommen, dass es gar nicht darum geht, ob ich einen Job kündigen muss oder nicht, also das ist wie mit der Frage, wann die Professionalität erreicht wird: Es geht eigentlich gar nicht darum, wann der Moment erreicht ist, an dem ich etwas professionell tue, sondern mehr um die Frage, wie die Bedingungen aussehen müssen, unter denen ich überhaupt weiter schaffen kann. Mir ist es vor allem wichtig, auch die Frustration im Kunstmachen zu teilen, indem ich die Bedingungen aufdecke, in die es eingebettet ist. Also es geht für mich darum, die Reflexion über diese struggles weiterzugeben.

F: Wenn ich dich richtig verstehe, basiert dilettantisches Tun auch auf dem Mut, Fehler zu machen und so das Dilettantische als eine Leidenschaft zu verstehen, die sich nicht institutionalisiert, sondern sich der Sache hingibt aus Lust an ihr und nicht aus einem Streben danach, etwas direkt einkerkern zu wollen und ihm den Stempel der Verwertbarkeit aufzudrücken. Aber wie ich es verstanden habe, ist dilettantisches Tun auch gar nicht unbedingt ein Gegensatz zu Professionalität, also es ist nicht einfach entweder dilettantisch oder professionell, sondern das dilettantische Tun ist eher für sich zu betrachten und vielleicht geht es sogar darum, das selber auch zu professionalisieren.

S: Das hast du jetzt schön zusammengefasst. (lacht) Genau, ich suche damit nach Möglichkeiten, mich überhaupt am Tun zu halten. Ich glaube auch, dass sich die Frage nachdem, was professionell ist, in meiner Arbeit eigentlich auflöst und so eine Endgültigkeit in der Entscheidung verliert.

F: Dein Ansatz impliziert für mich auch eine Zugänglichkeit. Du hast davon gesprochen, dass es dir wichtig ist, deine eigene Begeisterung weiterzugeben. Du hast dich für deine Arbeit ja auch viel mit disability studies beschäftigt und hast ein Konzept entwickelt, das du disabeling technologies nennst. Kannst du erklären, was das ist?

S: Disabeling technologies ist kein Begriff, den ich selbst erfunden habe, der kommt aus dem Kontext der disability studies. Dafür habe ich mit einer praktischen Arbeit ein Bild gefunden, dass sich auf dem Einband meiner gedruckten Thesis wiederfindet. Und zwar habe ich diese langen Keramik Fingeraufsätze gebastelt, die die Art wie man gewöhnlich Dinge tut – also zum Beispiel auf der Laptop Tastatur herumtippen- behindern, um dadurch zu neuen Möglichkeiten im Tun zu gelangen. Ich fand das ein sehr eindringliches und zugängliches Bild, wie diese Finger auf dem Laptop tippen– es ist kaum möglich, damit zu schreiben. Man kann mit diesen Fingern kaum was aufheben, geschweige denn ein Buch durchblättern.


Samira Engel: Große Töne Spucken – Or Why I Should quit my Job, diploma thesis in art- and cultural studies, book, lecture 2021, 12x22cm, 123 pages – artistic research on paper, ceramic fingers, beamer, outfit

F: Ich sehe da auch wieder was, worüber wir schon gesprochen haben, nämlich dass du auch hier wieder Gegensätze überblendest, also sowas wie: disableing in order to enable new ways of doing things. Damit ist schon wieder so ein Gegensatz, etwas binäres aufgebrochen. Also anstelle zu denken, du bist be- oder enthindert, entstehen hier durch die Behinderung ganz neue Möglichkeiten.

S: Ja, diese Idee kam für mich auch aus einer queer-feministsch und dekolonial forschenden Perspektive, aus einem Bedürfnis sich mit anderen Stimmen, die nicht im Kanon existieren zu befassen und generell Hierarchien aufzubrechen. Und dazu gehört für mich auch die Hierarchie zwischen Bild und Text, zwischen professionell und dilettantisch aufzubrechen und auch ganz andere Medien zu integrieren und so andere Formen von Wissensproduktion wertzuschätzen.

F: Bei dem, was du in Bezug auf die neuen Stimmen und die neuen Medien sagst, sehe ich auch wieder einen Bezug zu dieser Idee der Behinderung, denn die Frage ist ja auch in dieser Gesellschaft wer die Zeit und das Geld, also die Möglichkeiten sich zu professionalisieren. Stimmen werden gehört, wenn sie sich auf eine gewisse Art, in gewissen Medien ausdrücken können – aber wer kann das?

S: Ja eben. Ob wir nämlich immerzu professioneller oder wieder dilettantischer miteinander, mit Material, mit Sprache umgehen wollen ist doch ganz eng verknüpft mit Fragen danach, wie wir uns eigentlich zueinander verhalten und begegnen wollen. Ich glaube, ich suche nach Methoden in der Kunst jegliche Binarität aufzubrechen. Und in der Kunst gibt es die Möglichkeit, Dinge einfach mal so stehen zu lassen, dass kann sehr beruhigend sein.

F: Danke Sam für diese Unterhaltung. 




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Samira Engel hat ihr Studium der bildenen Kunst an der Bauhaus Universität in Weimar begonnen und ist seit 2020 an der Akademie für Bildene Künste in Wien. https://samiraengel.de

Johannes Bünemann ist ein freischaffender Künstler und Musiker. Er arbeitet in Berlin. http://www.johannesbuenemann.de